Interview : Wie gestaltet sich das Leben mit Autismus – ein Betroffener hat sich überwunden mit uns darüber zu reden

Möchtest du dich vielleicht zunächst einmal vorstellen?
“Mein Name ist Lucach, ich bin 15 Jahre alt und ich besuche derzeit eine geförderte Sonderschule in Straßburg. Ich bin Autist, aber habe gelernt, damit richtig umzugehen. Allerdings weiß ich auch, dass sich viele nicht mit dem Thema identifizieren können, es deswegen weitestgehend ablehnen. Momentan wohne ich in einem Vorort nahe Straßburg, habe eine kleine Schwester und geschiedene Eltern. Gerne rede ich mit euch über ein paar persönliche Aspekte, um euch den einen oder anderen Einblick zu verschaffen, dass sich der Autismus ganz individuell gestaltet.”

Wie kamst du darauf, beziehungsweise, wer stellte erstmals Vermutungen an, dass du von Autismus betroffen bist?
“Als ich 9 Jahre alt war unternahmen meine Familie und ich ein Kurzwochenende in Paris. Wir gingen in die Stadt, hatten allerdings kein Auto, also nahmen wir die Metro. Als meine Mutter mit mir vor dem Metro-Plan stand, fand ich schnell Interesse für das verkomplizierte Gebilde, das da vor meiner Nase hing. Ich betrachtete mir die Linien ganz genau, habe sie farblich sortiert, und, so blöd es für einen damals Neunjährigen klingen mag, habe versucht, diese Linien auf die Straßen über uns zu übertragen. Später am Nachmittag wollten wir wieder zurück zu unserem Hotel, da wollte meine Mutter glatt den mitgenommenen Metro-Plan aus der Tasche holen, da habe ich ihr versichert, dass sie ihn beruhigt wieder zurückstecken kann und ich uns zur nächsten Station, ja bis nach Hause bringen kann. Meine Mutter war natürlich etwas verwirrt, hat mir nicht zugetraut, dass ich uns alle wieder heil nach Hause bringen kann. Schlussendlich habe ich ihr die Strecke mit den dazugehörigen Liniennummern diktiert, wobei sie das dann mit dem Plan verglichen hat. Ab da war die Vermutung meiner Mutter bestätigt, dass ich anders bin als andere Kinder in meinem Alter.”

Wie reagierten die betroffenen Personen aus deinem Umfeld auf die neue Situation?
“Hm, meine Eltern waren zunächst sehr verwirrt, hatten Angst, dass ich besonderer Aufmerksamkeit bedürfe. Sie benachrichtigten auch schnell die Schule, meinen Sportverein, die Eltern anderer Kinder. Sie wollten eben vermeiden, dass andere die Situation falsch deuten würden, dass ich unter einem ADHS-Syndrom leide oder eine geistige Beschränkung habe. Mein Umfeld begann sich danach schlagartig zu verändern, zumindest kam es mir so vor, denn ich merkte schnell, dass andere anfingen sich von mir zu distanzieren. Weniger die Älteren, sondern vielmehr die Kinder, die es dann auch wohl oder übel mitbekommen haben.”

Wie bist du mit dieser ungewohnten Situation umgegangen?
“Die eigentliche ungewohnte Situation war nicht die, dass ich jetzt Bescheid wusste, dass ich anders war, sondern vielmehr, dass andere ihre gewohnten Verhaltensmuster abgelegt haben, sobald sie mich trafen. Oft hat sich mein dadurch angestauter Frust in Form von Wutanfällen entladen, ich habe viel geweint und nachgedacht. Anderssein wird einem als Kind schnell zum Verhängnis!”

Unter Kindern, sagst du, wird deine Besonderheit schnell zum Verhängnis, kannst du uns das etwas präzisieren?
“Nun, ich war in der Schule mit den Aufgaben oft unterfordert und habe teilweise nur die Hälfte der Zeit gebraucht wie andere Kinder in meinem Alter. Ich habe mich mit den Sachen auseinandergesetzt, allerdings anders als meine Kameraden. Demnach wurde ich schnell als „Streber“ deklariert, wurde gehänselt, beschimpft und ausgeschlossen.”

Heute, 4 Jahre danach, was hat sich geändert? Ist die Situation, wie sie war – also immer noch zu deinem Nachteil?
“Ich würde ganz spontan sagen, „Jein“. Leute, die mittlerweile darüber Bescheid wissen, egal ob in der Schule, in der Familie oder unter Freunden, akzeptieren die Situation. Sie akzeptieren ja den Menschen selbst. Ich muss allerdings dazu sagen, dass ich immer noch große Probleme habe, neue Kontakte zu knüpfen, zum einen, weil mich der Autismus zugegeben unter dem sozialen Aspekt benachteiligt, mich wiederum im Denken eindeutig vor die anderen stellt. Ich sage oft, dass es ein Kompromiss ist. Außenseiter gibt es immer, es gilt nur, das Beste daraus zu machen, sich zu bemühen Freunde zu finden und diese wenigen Beziehungen aber sehr stark zu pflegen!”

 

 

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